SCHEIDUNGSRECHT. Immer öfter ist fraglich, nach welchem Recht verschieden-staatliche Ehen zu trennen sind.
VON ALEXANDER LINDNER
WIEN. "Drum prüfe, wer sich ewig bindet", sagt Friedrich Schiller in der "Glocke". Ähnliches wäre aber auch jedem anzuraten, der sich nicht ewig bindet: nämlich zu prüfen, nach welchem Recht eine Trennung vonstatten ginge. Die EU-Kommission arbeitet an einem europäischen "Kollisionsrecht" in Scheidungssachen. Es soll darüber entscheiden, welches Recht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten anzuwenden ist. Mit einem Grünbuch hat die Kommission einen Normsetzungsprozess in Richtung einer neuen europäischen Regelung ("Rom III") eingeleitet.
Die steigende Mobilität hat zu einer deutlichen Zunahme an verschieden-staatlichen Ehen innerhalb der EU geführt. Das europäische Zivilprozessrecht hat bereits basierend auf dem Gedanken, dass Ehegatten dort geschieden werden wollen, wo sie sich aufhalten, zahlreiche Gerichtszuständigkeiten am gewöhnlichen Aufenthaltsort beider oder eines Ehegatten geschaffen.
Das materielle Scheidungsrecht innerhalb der EU könnte kaum unterschiedlicher sein. Die Palette reicht von Mitgliedstaaten, die der Auflösung der Ehe durch Scheidung skeptisch gegenüberstehen und diese erst nach langjähriger vorheriger Trennung zulassen, bis hin zu Staaten, in denen eine Art "gerichtliche Kündigung" der Ehe ausreicht. Eine Harmonisierung des Scheidungsrechts ist angesichts dieser Divergenzen in absehbarer Zeit nicht realisierbar. Das auf Scheidungen anwendbare Recht bestimmt sich derzeit nach den Regeln des Internationalen Privatrechts (IPR) des Gerichts, bei dem die Scheidung begehrt wird. Dass die unterschiedlichen IPR-Normen zu unbefriedigenden Lösungen führen können, wird im Grünbuch aufgezeigt. Einige Probleme "internationaler" Scheidungen sollen nachfolgend anhand von zwei Fallbeispielen illustriert werden. Österreicher in Irland
Fall 1: Ein österreichisches Paar beschließt aus beruflichen Gründen nach Irland auszuwandern. Sie fassen bereits nach kurzem Aufenthalt in Irland den Entschluss zu heiraten. Die beiden denken jedoch nicht daran, ihre Staatsbürgerschaft aufzugeben. Nach einigen Jahren geht die Ehe in die Brüche.
In Irland ist das auf die Ehescheidung anwendbare Recht das Recht des Gerichts (lex fori), und ein Gerichtsstand in Irland ist infolge des gemeinsamen Wohnsitzes gegeben. Eine Scheidung der Ehe ist nach irischem Recht jedoch erst nach einer vierjährigen Trennung möglich. Um die Scheidung zügiger über die Bühne bringen zu können, müssten die Ehegatten die Scheidung bei einem österreichischen Gericht beantragen. Vor diesem könnte die Scheidung wegen der gemeinsamen Staatsbürgerschaft der Ehegatten nach österreichischem Recht erfolgen.
Es kann sich also die Verlegung des Wohnsitzes innerhalb der EU dramatisch auf die Möglichkeit der Auflösung der Ehe und deren Durchführung auswirken. Ein einheitliches Kollisionsrecht, das den Ehegatten in diesen Fällen ein Wahlrecht zwischen Wohnsitz- und Heimatrecht einräumte, würde in diesem Fall zu einer befriedigenden Lösung führen.
Beschränkte Privatautonomie
Fall 2: Ein Österreicher, der in Wien bei der österreichischen Tochtergesellschaft eines deutschen Großkonzerns arbeitet, lernt auf einer Dienstreise eine in der italienischen Tochtergesellschaft angestellte Arbeitskollegin kennen. Sie treffen sich fortan auch privat und kommen einander näher. In der Konzernzentrale in Ludwigshafen findet sich für die fleißigen Mitarbeiter rasch ein ansprechender Job. Die beiden heiraten und übersiedeln nach Deutschland. Weil der Mann jedoch bereits eine Scheidung hinter sich hat, beabsichtigt er, mit der Italienerin einen Ehevertrag abzuschließen. Darin soll auch das auf die Scheidung anwendbare Recht vereinbart werden.
Nach österreichischem Internationalen Privatrecht kann dieses Recht jedoch nicht frei vereinbart werden. Das ist insbesondere für verschieden-staatliche Ehegatten unbefriedigend. Verlegen sie ihren Wohnsitz, wie im gegenständlichen Fall, aus beruflichen Gründen in einen Drittstaat, so richtet sich eine allfällige Scheidung nach dem Recht des Drittstaats. Die Scheidung des österreichisch-italienischen Ehepaars mit deutschem Wohnsitz würde also nach deutschem Recht erfolgen, zu dem keiner der beiden einen wirklichen Bezug hat. Der zweite Fall macht auch deutlich, dass bei internationalen Sachverhalten rasch ein Rechtswahlbedürfnis entstehen kann. Das Grünbuch schlägt daher bei derartigen Konstellationen ganz allgemein die Wahl des auf die Scheidung anwendbaren Rechts vor.
Das österreichische Justizministerium steht dieser Wahlmöglichkeit indes kritisch gegenüber, weil sie seiner Ansicht nach (von den Parteien) dazu missbraucht werden könnte, sich strengeren Scheidungsvorschriften zu entziehen. Ferner würde die Rechtswahl die Parteien insofern überfordern, als sie die Kenntnis der in Frage kommenden Rechtsvorschriften voraussetze.
Dagegen lässt sich aber argumentieren, dass die Rechtswahl zur Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts und zur Rechtssicherheit beiträgt. Den allgemeinen Bedenken des Justizministeriums kann wohl dadurch begegnet werden, dass die Rechtswahl nur bei Einhaltung bestimmter Formvorschriften (z. B. Notariatsakt) wirksam wird und sich materiell auf jene Rechtsordnungen beschränkt, zu denen einer der Ehegatten ein Naheverhältnis hat.
Autor: Dr. Alexander Lindner, Rechtsanwalt in Wien Quelle: Die Presse, Rechtspanorama vom, 05. Dezember 2005, Seite 8
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