HÖCHSTGERICHT PRÜFT. Massive Bedenken gegen dreifachen Einheitswert als - sehr niedrige - Bemessungsgrundlage. VON BENEDIKT KOMMENDA WIEN. Bei der Besteuerung des Vererbens und Verschenkens von Grundstücken bahnt sich eine Revolution mit möglicherweise teuren Folgen für die Steuerpflichtigen an. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat massive Bedenken gegen die gesetzlich vorgesehene Bemessung der Erbschafts- und Schenkungssteuer für Liegenschaften am dreifachen Einheitswert - einem Betrag, der mitunter nur einen winzigen Bruchteil des Verkehrswerts ausmacht. Das Höchstgericht hat deshalb in seiner letzten Session beschlossen, die vergünstigte Besteuerung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz zu überprüfen. Experten erwarten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Aufhebung der Bestimmung im Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz (19 Abs. 2 und 3). Bliebe der Gesetzgeber in der Folge untätig, müsste die Steuer in Zukunft nach dem Verkehrswert bemessen werden. Verkehrswert 558mal höher Der Fall, der den VfGH zu seinem brisanten Beschluss veranlasste, spricht Bände: Eine Witwe war im Testament ihres Ehemanns nicht einmal im Umfang des Pflichtteils bedacht worden. Dieser beträgt, wenn Nachkommen vorhanden sind, ein Sechstel der Verlassenschaft, sonst (neben Eltern oder Geschwistern des Verstorbenen) ein Drittel. Das stattliche Vermögen des Verstorbenen hatte vor allem aus Liegenschaften bestanden. Verkehrswert laut Gutachten: 3,5 Mill. Euro. Statt jedoch einen Teil der Grundstücke zu bekommen, einigte sich die Witwe mit den Erben auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von 808.146,33 Euro. Das sollte sie bereuen. Die Erbschaftssteuer wurde ihr nämlich nicht auf Basis des dreifachen Einheitswerts von insgesamt gerade einmal 6322,53 Euro - das ist ein Fünfhundertachtundfünzigstel des Verkehrswerts - vorgeschrieben, sondern anhand der Ausgleichszahlung. Ergab: 87.417,27 Euro. Der Unabhängige Finanzsenat, Außenstelle Feldkirch, billigte diese Vorgangsweise: Ein Ansatz des dreifachen Einheitswerts, wie die Witwe ihn aus gut nachvollziehbaren Gründen bevorzugt hätte, komme nicht in Frage, weil der Pflichtteilsanspruch nicht durch Grundstücke, sondern mit einem Geldbetrag abgefunden worden sei. Dem VfGH erscheinen die unterschiedlichen steuerlichen Folgen jedoch - zumindest vorläufig - verfassungswidrig: "Bei gleichem Verkehrswert hat ein Erwerber, der im Wege einer Erbschaft oder Schenkung Grundbesitz erwirbt, im Hinblick auf die notorische Unterbewertung des Grundbesitzes anscheinend lediglich einen Bruchteil jener Bemessungsgrundlage anzusetzen, die ein (steuerpflichtiger) Erwerber von Fahrnis (beweglichem Vermögen, Anm.) oder Bargeld gegen sich gelten lassen muss, wobei die Auswirkungen auf die Steuerbelastung anscheinend durch den progressiven Tarif der Erbschaftssteuer noch verstärkt wird" (B 3391/05). Für Grundstücke sind derzeit die Einheitswerte von 1. 1. 1973, aufgewertet um 35 Prozent, maßgebend. Bei land- und forstwirtschaftlichen Gütern sind es die Einheitswerte zum 1. 1. 1988 (ermittelt nach dem Ertragswert). Beide sind vom aktuellen Verkehrswert weit entfernt: selbst dann, wenn man die Einheitswerte, wie seit 2001 vorgeschrieben, in dreifacher Höhe ansetzt. Für den VfGH dürfte die Regelung damit längst nicht mehr mit dem Argument einer Verwaltungsvereinfachung zu rechtfertigen sein. Zu unterschiedlich sei auch die mittlerweile eingetretene Wertentwicklung des Grundbesitzes je nach Lage, Bebauung usw. Eine generelle pauschale Anhebung oder Vervielfachung der in die Jahre gekommenen Einheitswerte erscheint dem VfGH überhaupt ungeeignet, den Wert der einzelnen Liegenschaften abzubilden. Experte rät: Schenkungen vorziehen "Sollte der Gerichtshof das Gesetz aufheben, wäre der gemeine Wert die Bemessungsgrundlage für die Vererbung und Schenkung inländischer Liegenschaften", warnt Friedrich Fraberger, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Steuerberater bei KPMG. Fraberger rechnet deshalb im Gespräch mit der "Presse" für die nächste Zeit mit einem enormen Boom an Schenkungen von Liegenschaften. "Es dürfte für all diejenigen Handlungsbedarf bestehen, die in absehbarer Zeit geplant haben, inländische Liegenschaften unentgeltlich zu übertragen." Der Steuerexperte erwartet aufgrund der Argumentation des VfGH mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Aufhebung des Gesetzes. "Dann muss das Finanzministerium etwas tun", so Fraberger. Es müsse sicher gestellt werden, dass ein Kernbereich des Vermögens "ohne erheblichen Substanzabrieb" weitergegeben werden könne - etwa indem der geltende Freibetrag von 2200 Euro (unter Ehegatten) drastisch angehoben würde. Steuer: Erbschaft, Schenkunmg Bei der unentgeltlichen Übertragung von Ver- mögen fällt die Erbschafts- und Schenkungs- steuer an. Sie ist von 2 bis 60 Prozent gestaffelt, abhängig vom Wert des übertragenen Vermö- gens und von der Steuerklasse. Ehepartner und Kinder fallen in die Steuerklasse I, Enkelkinder in Klasse II usw. Lebensgefährten finden sich in der (schlechtesten) Klasse V. Vor der Bemes- sung der Steuer ist ein abgestufter Freibetrag von 2200 bis 110 Euro anzuwenden. Nur bei Grundstücken wird die Steuerlast - noch - da- durch reduziert, dass sie sich an den Einheits- werten und nicht am Verkehrswert bemisst. Autor: Benedikt Kommenda Quelle: Die Presse, 26. Mai 2006 / Seite 17
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