Nun sind sie wieder da, die Geschichten über das "Comeback der Sitten" oder die "Neue Sehnsucht nach Formen und Normen". Alle Jahre wieder, besonders in Krisengefühl- und Sommerloch-Zeiten, werden die Volontäre ausgeschickt, um das klassische Lifestyle-Feuilleton zu stricken, nach denen die "Verunsicherung in der modernen Welt" zur "Rückbesinnung auf Wurzeln und Werte" führt. "Romantisches Heiraten ist wieder IN", heißt es da, und auf den dazugehörigen Fotos sieht man dann fröhliche Hochzeitspaare im trauten Familienkreis an der Elbchaussee in Hamburg oder im Grinzinger Edellokal. "Früher habe ich gedacht, dass meine Eltern alles falsch machen, so mit Eigenheimzulage und Urlaub in Dänemark", sagt dann ein Sven (28), der gerade seine Anja heiratet. "Aber heute weiß ich, dass es schön ist, ein eigenes Haus zu haben, in dem ich mit der Familie feiern kann, ohne dass sich die Mieter von oben drüber beschweren." Die neue Bürgerlichkeit eben - und ein ausgemachter Quatsch. Genauso gut könnte man das Gegenteil behaupten. Zum Beispiel den - statistisch nachweisbaren - Trend zum Ehevertrag. Die "role models" dafür kommen aus den USA. In einem Ehevertrag zwischen Jennifer Lopez und Ben Affleck wurde neulich festgelegt, dass Affleck mindestens viermal in der Woche seinen ehelichen Pflichten nachgehen muss. Bei Fremdgehen muss er fünf Millionen an Lopez zahlen. Oder wie wäre es mit einem "Trend zum Neuen Narzismus", der sich nun auch in einem neuen Bund fürs Leben ausdrückt? Die REALE Meldung dazu: Die niederländische Studentin Jennifer Hoes (29) heiratete sich im Januar selbst. "Ich will öffentlich bezeugen, dass ich mir treu bleiben will", sagte sie der versammelten Presse. In aller Stille hat sich stattdessen ein Trend durchgesetzt, der tatsächlich spannend und neu ist. Paare, die gut zusammen auf dem Weg des Lebens sind, heiraten sich erneut. "Re-Marriage" nennt sich das, und es benötigt bestimmte Regeln und ein Grundverständnis menschlichen Wandels. Bei runden Hochzeitstagen, oder auch jedes Jahr (so mache ich das mit meiner Frau), nimmt sich das Paar Zeit für einige Tage Eigenzeit. Abseits von den Kindern, am besten in einem schönen Designer-Hotel, wird Liebesbilanz gezogen und vor allem nach vorne geschaut. Was haben wir erreicht? Was wollen wir in Zukunft anders gestalten? Stimmen die Kontrakte, die bewussten und unbewussten, noch, mit denen wir in diese Partnerschaft gegangen sind? Wir erneuern also unsere Verträge - und das zelebrieren wir und mit uns immer mehr unserer Freunde. In der alternden Gesellschaft sind wir viel länger zusammen - wenn wir denn zusammenbleiben. Männer und Frauen sind individueller geworden, die alten Rollenverteilungen sind erodiert. Wir müssen deshalb im Laufe unserer Partnerschaft in ganz anderer Weise Rollenwechsel moderieren, Lebensphasen und Distanzen gestalten. Das erfordert einen anderen Liebes-Begriff, einen Ethos der Reife. Die hohe Scheidungsrate entsteht nicht durch ein Zuwenig an Formen und Normen, wie uns immer weisgemacht wird. Sondern durch einen Mangel an Beziehungsintelligenz, an Wachheit, Selbstwissen, an Wandlungsbereitschaft. Die Zukunft des Menschlichen ist nicht nur eine recycelte Vergangenheit: Tempera Mutantur. Quelle: "Die Presse" vom 19. Juli 2003, S. 32 Autor: Matthias Horx , Trend- und Zukunftsforscher in Wien
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