Patientenverfügung. Am Donnerstag tritt ein neues Gesetz in Kraft: Es regelt die Bedingungen, unter denen im Vorhinein bestimmte Therapien abgelehnt werden können. VON PETER KUNZ
WIEN. Die Amerikanerin Terry Schiavo war mehr als 14 Jahre in einem US-Krankenhaus im Wachkoma gelegen, ehe sie im März 2005 nach Entfernung einer Ernährungssonde starb. Dem Gerichtsbeschluss, der diesen Schritt anordnete, war ein erbitterter, von großer medialer Aufmerksamkeit begleiteter Streit zwischen den Eltern und dem Ehemann Schiavos vorausgegangen. Der Ehemann hatte sich auf wiederholt geäußerte Wünsche seiner Frau berufen, im Falle einer unheilbaren Krankheit nicht künstlich am Leben erhalten zu werden. Die Eltern hatten entgegnet, dass eine Heilung oder signifikante Besserung des Gesundheitszustandes möglich sei, und sich vehement gegen den Behandlungsabbruch gewehrt. Einem solchen Streit soll die Patientenverfügung vorbeugen, die ab dem 1. Juni in Österreich möglich ist.
Patientenverfügungen werden hier schon seit Jahren, vor allem - aber nicht nur - im Hospizbereich verwendet. Zwar steht deren prinzipielle Zulässigkeit (spätestens seit der einzigen diesbezüglichen Entscheidung des OGH im Jahr 1998) nicht mehr in Frage. Dennoch blieben in diesem Zusammenhang viele Fragen offen. Ab Juni schafft aber das Patientenverfügungsgesetz mehr Klarheit in diesem äußerst sensiblen Bereich.
Das Gesetz legt fest, dass "Patienten" (womit nicht nur kranke, sondern auch gesunde Errichter einer Patientenverfügung gemeint sind) mit Hilfe einer Patientenverfügung bestimmte künftige medizinische Behandlungen ablehnen können. Einen Anspruch auf die Vornahme gewünschter medizinischer Behandlungen oder die Unterlassung rein pflegerischer Maßnahmen räumt das Gesetz hingegen nicht ein. Das Setzen einer Ernährungssonde und die Ernährung damit gelten aber sehr wohl als medizinische Behandlungsmaßnahmen, die im Wege der Patientenverfügung abgelehnt werden können.
Widerruf jederzeit möglich
Die Verfügungen müssen höchstpersönlich (also nicht durch einen Stellvertreter) errichtet werden. Dazu muss der Patient einsichts- und urteilsfähig sein, nicht aber volljährig. Willensmängel - etwa ein Irrtum über die Erklärung - oder ein strafgesetzwidriger Inhalt (wie der Wunsch nach einer "Tötung auf Verlangen") machen die Verfügung unwirksam. Dasselbe gilt, wenn der Inhalt als "überholt" zu betrachten ist, weil sich seit Errichtung der Stand der Medizin wesentlich geändert hat. Selbstverständlich können einmal errichtete Patientenverfügungen auch jederzeit widerrufen werden. Das Gesetz unterscheidet zwei Arten, nämlich "verbindliche" und "beachtliche" Patientenverfügungen: "Verbindliche" beruhen auf einer umfassenden ärztlichen Aufklärung und müssen strenge inhaltliche und formelle Kriterien (beispielsweise die Errichtung vor einem Rechtsanwalt, der Patientenanwaltschaft oder einem Notar) erfüllen. Patientenverfügungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, gelten als "beachtliche" Verfügungen, die bei der Ermittlung des (mutmaßlichen) Patientenwillens zu berücksichtigen sind.
"Verbindliche" Patientenverfügungen verlieren - außer es wurde vom Patienten eine kürzere Frist festgelegt oder die Verfügung vom Patienten zuvor widerrufen - fünf Jahre nach der Errichtung ihre Verbindlichkeit. Sie können aber natürlich - unter Einhaltung der Formvorschriften und nach entsprechender ärztlicher Aufklärung - erneuert werden.
Viele meinen, durch das neue Gesetz könnte Druck auf ältere oder chronisch kranke Menschen entstehen, Patientenverfügungen zu errichten. Es könnten, so lautet eine Befürchtung, potenzielle Erben in Erwartung eines Vermögens ihre Vorfahren drängen, eine lang dauernde, auch für den Patienten teure Pflege abzulehnen.
Druck auf vermögende Eltern?
Der Gesetzgeber versucht mit einer Verwaltungsstrafbestimmung allfälligen Missbräuchen im Zusammenhang mit der Aufnahme in Heime oder Pflegeeinrichtungen vorzubeugen. Am besten würde das dahinter stehende Problem aber wohl dadurch gelöst, dass man eine der größten Lücken im österreichischen Sozialsystem schließt und (Langzeit-)Pflegekosten mit sonstigen Behandlungskosten bei der Finanzierung durch die Sozialversicherungsträger gleichstellt (dass die zusätzliche Last nicht leicht zu tragen wäre, liegt allerdings auf der Hand). Dann müssten betroffene Patienten nicht befürchten, dass ihre gesamten Ersparnisse am Ende ihres Lebens vom Pflegeaufwand aufgezehrt werden. Die Wirksamkeit jener Patientenverfügungen, die bereits vor dem 1. Juni errichtet worden sind, ist nach den neuen Bestimmungen des Patientenverfügungsgesetzes zu beurteilen; dies bedeutet, dass nur die allerwenigsten als "verbindlich" einzustufen sein werden, weil sie höchstwahrscheinlich nicht den neuen formalen und inhaltlichen Anforderungen entsprechen. Um eine "verbindliche" Verfügung für die Zukunft zu bekommen, wird man daher eine neue errichten müssen.
Patientenverfügung: Die Patientenverfügung ist eine Er- klärung, bestimmte Behandlungen abzulehnen. Sie wirkt im Fall fehlen- der Einsichts- und Urteilsfähigkeit, wenn der Patient sie im Vornhinein höchstpersönlich schriftlich nach ärztlicher Aufklärung vor einem An- walt, Notar oder der Patientenan- waltschaft formuliert hat. Die Erklä- rung gilt maximal fünf Jahre.
Autor: Dr. Peter Kunz ist Rechtsanwalt in Wien und Partner von Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte KEG.
Quelle: Die Presse, Rechtspanorama, 29. Mai 2006 / Seite 6
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