Notar Dr. Schweinhammer
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14 Nov. 2024; 20:28
EU-Gerichtshof räumt Hürden für Fusionen aus dem Weg
 
Höchstrichter in Luxemburg leiten aus dem Europarecht einen Rechtsanspruch auf grenzüberschreitende Verschmelzung ab.

VON CLEMENS PHILIPP SCHINDLER

WIEN. Die europäische Integration im Bereich des Gesellschaftsrechts schreitet schnell voran. Nachdem der Rat der EU im September 2005 eine Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften verabschiedet hatte, zog der Europäische Gerichtshof vorige Woche nach. Im Verfahren "Sevic Systems AG" über eine Verschmelzung von Luxemburg nach Deutschland sah der EuGH in den Bestimmungen des deutschen Umwandlungsgesetzes einen Verstoss gegen die Niederlassungsfreiheit. Der EuGH folgt damit den Schlussanträgen von Generalanwalt Antonio Tizzano.

Die österreichische Rechtslage ist der deutschen vergleichbar, sodass die Entscheidung des EuGH auch für inländische Unternehmen von Bedeutung ist. Hatte bisher nur die Europäische Aktiengesellschaft einen Rechtsanspruch auf eine Verschmelzung über die Grenze, steht diese Möglichkeit nunmehr jeder Kapitalgesellschaft offen. Gesellschaften mit beschränkter Haftung können davon ebenso Gebrauch machen wie die Rechtsform der Aktiengesellschaft. Gleiches gilt für die britische Limited oder die französische SARL. Bisher war diese Möglichkeit für nationale Gesellschaften höchst umstritten, die Rechtsprechung daher uneinheitlich. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit gehört ab sofort der Vergangenheit an.


Von "Limited" enttäuscht
Diese Entwicklung ist aber keineswegs nur für Großkonzerne, sondern auch für den Mittelstand von Vorteil. So wird expansionsorientierten Unternehmen die Erschließung neuer Märkte durch das Instrument der Verschmelzung wesentlich erleichtert, aber auch im Inland sind Anwendungsfälle denkbar. So hat etwa die viel umworbene Limited nicht immer den gewünschten Erfolg gebracht: Ungeklärte Haftungsfragen, aber auch laufende Verpflichtungen, etwa im Bereich der Rechnungslegung, sind ein hoher Preis für die Ersparnis bei der Gesellschaftsgründung. Dass mancher die Limited zu missbräuchlichen Zwecke genutzt hat, ließ freilich auch ihre Marktakzeptanz schwinden. Der Wunsch nach der Rückkehr in die GmbH wird daher immer öfter geäußert. Im Wege der Verschmelzung lässt sich dieses Vorhaben leicht umsetzen, das gesamte Vermögen und sämtliche Vertragsbeziehungen werden auf die GmbH bertragen.
 
Zum Urteil ist anzumerken, dass der EuGH erneut das Schutzbedürfnis von Gläubigern, Minderheitsaktionären und Arbeitnehmern betont hat. Deren Schutz sei ein zwingender Grund des Allgemeininteresses, der grundsätzlich auch Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kö nne. Eine pauschale Versagung der Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung sei aber eine überschießende Maßnahme, die das für den Schutz dieser Interessen notwendige Maß berschreite. Auch die verabschiedete Richtlinie sieht für diesen Adressatenkreis Schutzvorschriften vor, zum Teil ermächtigt sie den nationalen Gesetzgeber zur Erlassung solcher. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich ist davon auszugehen, dass entsprechende Schutzbestimmungen eingeführt werden. Die Richtlinie führt daher nur bedingt zu einer Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften in der EU, der europaweite Rechtsanspruch auf eine grenzüberschreitende Verschmelzung ist aber jedenfalls als großer Fortschritt anzusehen.


Das EuGH-Urteil ist auch für bereits anhängige Verfahren von Bedeutung. Die Richtlinie hingegen muss von den Mitgliedstaaten erst in nationales Recht umgesetzt werden, wofür eine Frist von zwei Jahren vorgesehen ist. Bis dahin könnten sich Unternehmen auf Grundlage des Urteils aber unmittelbar auf die Niederlassungsfreiheit berufen, um eine Verschmelzung über die Grenze zu erreichen. Ob die nationalen Gesetzgeber die Umsetzungsfrist der Richtlinie daher voll ausschöpfen werden, ist noch unklar. Für die Unternehmen, aber auch für die Gerichte wäre eine zeitnahe Regelung jedenfalls sinnvoll, um Unsicherheiten im Übergangszeitraum so gering wie möglich zu halten.
 
Steuerneutrale Durchfhrung
Das einschlägige Steuerrecht existiert in Form einer Richtlinie bereits seit 1990. Demnach sind Fusionen und andere grenzüberschreitende Vorgänge bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen in ganz Europa steuerneutral durchführbar. Der österreichische Gesetzgeber ist bei seiner Reform im Vorjahr sogar über die Vorgaben dieser Richtlinie hinausgegangen. Demnach können Gesellschaften von Österreich in das Ausland verschmelzen, ohne dass dadurch eine Steuerpflicht ausgelöst wird. Dies gilt sowohl für die beteiligten Gesellschaften als auch für ihre Anteilseigner.


Quelle: Die Presse, RECHTSPANORAMA, Seite 6 vom 19.12.2005

Der Autor MMag. Dr. C. Ph. Schindler ist Steuerberater und Mitarbeiter der LL.M. Haarmann Hügel Rechtsanwälte OEG